6. Tag: Die Spur der Steine
Strecke: 44,1 km, 2134 hm
Tirano - Stazzona - Aprica - Malga Magnolta - Passo del Venerocolo - Valle di Venerocolo - Schilpario
- 26 %: Straße
- 16 %: Radweg, Teer, Nebenstraße mit wenig Verkehr
- 17 %: Feldweg, Schotter
- 41 %: Trail, Pfad
- Schiebepassagen: je nach Fahrtechnik und Kondition beim Anstieg zum Passo del Venerocolo und bei der Abfahrt im Valle Venerocolo nach Schilpario
- GPS-Track: 6-Tirano-Schilpario.gpx
Varianten
- in Aprica mit Seilbahn Magnolta zur Malga Magnolta (erspart ca. 670 Höhenmeter Auffahrt)
GPS-Track: 6-Var1-Aprica-Seilbahn-Magnolta.gpx - "Auf die harte Tour" über Valle Belviso und Lago Belviso zur Malga Campo, Tragepassage zum Passo del Venerocolo, Bergwanderung über Passo del Gatto zum Passo Vivione
GPS-Track: 6-Var2-Belviso-Vivione.gpx
Details dazu weiter unten im Textbericht.
Alternative bei schlechtem Wetter:
- von Aprica auf Straße nach Edolo abfahren und weiter im Tal auf Straße oder dem ausgeschildertem Radweg im Valcamonica bis Breno (der Ort liegt auf der Strecke der 7. Etappe)
Übersichtskarte
schwarz: Hauptroute
rot: Varianten (falls vorhanden)
In Davids dunkler Kemenate muss wohl ein durchreisender Wunderheiler sein Karma hinterlassen haben. Auf jeden Fall nimmt er beim Frühstück mit Appetit wieder feste Nahrung zu sich und kann weiterfahren. Also los. Heute werden wir wohl wieder keiner Menschenseele im Gebirge begegnen. Der Weg führt uns auf die harte Tour über den Passo del Venerocolo, einen wahren Scharfrichter in den Bergamasker Alpen. Die Anfahrt gestalten wir auf Straße in Richtung Aprica so leicht wie möglich, denn wir wissen, heute legen wir nur wenige Kilometer, aber viele Höhenmeter zurück. Schnell sind wir aus Tirano auf dem Radweg Sentiero Valtellina heraus und fahren ab Stazzona auf der Straße nach Aprica, einem typisch italienischem Urlaubsort in den Bergen. In Aprica rate ich dringend an, sich ordentlich zu verpflegen, denn auf dem anstrengenden Weg zum Passo del Venerocolo und weiter bis zum Etappenziel Schilpario ist man im touristischen Niemandsland. Auf den Höhenweg Magnolta-Venerocolo gibt es nach der Malga Magnolta keinerlei Einkehrmöglichkeiten. Von Aprica geht es entweder mit der Seilbahn oder aus eigener Kraft hinauf auf steiler Versorgungspiste zur Bergstation der Magnolta-Seilbahn.
Seilbahn: wenn sie fährt, ist die Benutzung durchaus eine Option!
Von der Bergstation aus führt ein alter Militärweg in Richtung Passo di Venerocolo. Gefahren bin ich den erstmals mit meinem italienischem Freund Alcide Pancot, der in Aprica wohnt, die Gegend wie seine Westentasche kennt und fit wie ein Turnschuh ist.
Am Start der Gran Tour Venerocolo mit Alcide, der mich antreibt
Dazu wurde ein alter Militärweg aus dem 1. Weltkrieg hergerichtet. Dieser führt als langer und in der Tendenz stetig ansteigender Höhenweg zum Passo del Venerocolo. Davon kann man sich auf den folgenden Bilder einen Eindruck verschaffen.
Alcide auf dem Weg
Höhenangst kennt Alcide nicht - Vorsicht ist an dieser kettenversicherten, ausgesetzten Passage auf jeden Fall angebracht
Es folgen entspanntere Abschnitte - im Tal der Lago Belviso (dort führt die Variante "Auf die harte Tour" entlang)
Langsam schraubt man sich auf dem Militärtrail immer weiter in die Höhe.
Doch aufgepasst und Augen auf!
Der Weg liegt in der Sonne und Schlangen mögen es warm.
Es zieht sich hin auf dem Höhenweg. Im Hintergrund die immer schneebedeckten Gipfel der Bernina-Gruppe.
Doch schließlich ist es geschaftt.
Passo del Venerocolo
Danke an Alcide Pancot für die Tourbegleitung an diesem wunderschönen Tag!
Bei unserer ersten Erkundungstour war dieser Weg noch nicht ausgebaut und wir kamen nach einer harten Schiebe- und Tragepassage vom Lago Belviso - das ist nun die Variante "Auf die harte Tour". Details dazu weiter unten.
Am Pass saß damals ein Wanderehepaar und machte Rast. Wir grüßten erst mal freundlich mit "Buon giorno!" Der Mann fragte gleich nach dem Woher und Wohin, was mir sehr recht war, um an Informationen über unseren weiteren Weg zu gelangen.
Am Passo del Venerocolo wird sich erst einmal orientiert.
Die Frau fragt, ob wir Deutsche seien und hängt noch eine Bemerkung an. Ich vermute, es könnte etwas mit "verrückt, übergeschnappt" zu tun haben. Vielleicht hat sie nicht ganz Unrecht, denn am Ende dieser Etappe werden wir uns fragen, warum wir uns das immer wieder antun. David und ich verdrücken unser zweites Frühstück und peilen dann die Lage. Bei der vorherigen "Befahrung" wanderten wir dann über den Passo del Gatto zum Passo del Vivione - das ist nun die Variante "Auf die harte Tour".
Diesmal entscheiden wir uns für den direkten Weg hinunter ins Valle Venerocolo auf dem alten Militärtrail nach Schilpario. Die Meinungen zu dem alten Militärtrail gehen weit auseinander. Manche sage: komplett unfahrbar - andere wiederum: anspruchsvoller, aber schöner Trail. Das Fazit muss jeder für sich selbst ziehen.
Sicher war dieser Weg vor ein paar Jahren noch besser in Schuss. Der Zahn der Zeit und die Unbilden des Wetters nagen an ihm.
Freunde ruppiger, technisch anspruchsvoller Singletrails werden hier ihre Freude haben.
Einen Singletrail über elfhundert Höhenmeter bergab findet man recht selten.
Viele andere, wie auch wir, werden wohl das eine oder andere Stück schieben müssen und vielleicht auch mich verfluchen, der ich diese Route beschreibe.
Bei mir selber ist das allerdings selbstgewähltes Elend. Irgendwann hat auch das ein Ende und wir erreichen Schilpario. Wir beschließen hier die heutige Etappe.
Alternative für die Weiterfahrt
Morgen wird es über den Passo di Campelli nach Breno und weiter zum Passo di Croce Domini gehen.
GPS-Track: 7-Schilpario-Idrosee.gpx
Also könnte man noch ein Stück in diese Richtung fahren, wenn man gut in der Zeit liegen sollte. Das Rifugio Bagozza am Abzweig zum Passo di Campelli ist allerdings ein etwas unsicherer Übernachtungsort. Die nächste Möglichkeit dazu bietet das Rifugio am Passo Vivione an, das bei der Variante "Auf die harte Tour" sowieso Etappenziel des Tages ist. Nach oben führt ein schmales Asphaltsträßchen mit wenig Verkehr. Das sind von Schilpario aus gut 700 Höhenmeter. Am nächsten Tag würde man wieder rund 250 Höhenmeter hinunter zum Rifugio Bagozza rollen, um in die Etappe des 7. Tages einzusteigen.
Hinauf zum Passo del Vivione. Manchmal gibt es auch Begleitung auf dem Weg.
Wie auch immer man sich entscheidet: wir waren zufrieden, als wir dereinst im Rifugio Passo Vivione übernachteten.
Hinweise zu der Variante "Auf die harte Tour"
Strecke: 38,9 km, 2179 hm
Tirano - Stazzona - Valle Belviso - Lago Belviso - Malga di Campo - Passo del Venerocolo - Passo del Gatto - Passo del Vivione
- 28 %: Straße
- 16 %: Radweg, Teer, Nebenstraße mit wenig Verkehr
- 29 %: Feldweg, Schotter
- 27 %: Trail, Pfad
- Schiebepassagen: je nach Kondition beim Anstieg zur Malgo di Campo
- Tragepassage zum Passo del Venerocolo
- Bergwanderung über Passo del Gatto zum Passo Vivione
- GPS-Track: 6-Var2-Belviso-Vivione.gpx
Nach dem Start in Tirano ist man in gut anderthalb Stunden am Eingang des Valle Belviso mit dem gleichnamigen See. Die Straße wird gleich zur Schotterpisten und immer steiler, bis wir an der Staumauer das heftigste Stück erwischen. Gerade ist eine Wandergruppe angekommen, die sich nun startklar für eine Wanderung am paradiesisch gelegenen See macht. Uns bleibt nichts anderes übrig also so zu tun, als ob dieser Anstieg die leichteste Übung für uns ist. Mit etwas gequältem Lächeln ziehen wir vorbei und können uns auf dem Weg, der am See entlang führt, erst mal entspannen.
Lago Belviso
Am Ende des Sees zweigt nach links das Val Campo ab. Die Orientierung ist hier nicht ganz eindeutig. Das Schild gibt den Weg 311 Richtung Malga Demignone an. Von Malga di Campo, wo wir hin wollen, steht gar nichts. Der Weg wird gleich sehr steil und dient als Zubringer für die Almen. Zum Glück kommt mir ein Jeep entgegen und ich kann nach den Weg fragen. Wir sind richtig. Zur Malga Campo geht es bei der nächsten Weggabel geradeaus und dann über eine kleine Brücke. Kurz danach passiert man zwei Steinhütten.
Auf dem Marsch zur Malga Campo
Der Forstweg bleibt bis zur Malga sehr steil und ist nur teilweise fahrbar. Konditionstiere werden es komplett schaffen. Die Malga di Campo liegt auf einer kleinen Hochebene und wird bewirtschaftet. Ein paar Hunde begrüßen uns als Abwechslung in der Einsamkeit. Einer knurrt ein wenig, die anderen schnüffeln an uns rum, wahrscheinlich wegen unseres strengen Geruchs, der vielleicht an Wild erinnert.
Malga di Campo: Der Bauer erscheint auf der Bildfläche und die Hunde werden ruhiger.
Sein Alter ist schwer einzuschätzen. Sein Gesicht ist sonnengegerbt und zeugt von der schweren Arbeit hier oben. Er freut sich offensichtlich über die Abwechslung und ich bin auch froh, einen kleinen Plausch zu machen und mich nach dem weiteren Weg zum Passo del Venerocolo erkundigen zu können. Als deutlichen Einschnitt in der Bergkette haben wir ihn schon ausmachen können. "Sempre destra", "immer rechts halten", gibt er mir als Rat mit auf den Weg.
Noch kann man fahren
Das Finale zum Passo del Venerocolo hat das Format von Wagner-Opern: düster und langandauernd, aber voller subtiler Schönheit und schroffer Energie.
Jetzt muss man schieben
Nun wird getragen
Schließlich sind wir beide oben und genießen einen kurzen Moment der Entspannung. Alles in allem hat der Aufstieg "nur" rund 75 Minuten gedauert. Uns kam es viel, viel länger vor. Die Variante zum Passo del Vivione geht nun weiter wie folgt. Der Weg gabelt sich kurz hinter dem Passo del Venerocolo. Der linke Weg 416 führt über den Passo del Gatto zum Passo di Vivione. Da er sich scheinbar an den Bergflanken entlang schlängelt, hegte ich die Vermutung, es könnte eine alter Militärweg sein, die oft fahrbar sind.
Ich musste nun feststellen: Es irrt der Mensch, so lang er strebt.
Wenigsten wandern wir nun durch einsame Hochgebirgslandschaften und das Fahrrad lässt sich ganz leidlich schieben. Heckmair hätte sicher seine helle Freude an dieser Strecke.
Es ist nicht so, dass es vom Pass nur noch bergab geht.
Kleine und größere Gegenanstiege begleiten uns auf dem Weg.
Endlich erreichen wir am Passo del Gatto den höchsten Punkt dieser Streckenvariante.
Aus einer kleinen Felsspalte am Passo del Gatto lächelt mich eine kleine Madonnenstatue an.
Sie scheint mir zu zuflüstern: "Der Herr behüte dich auf deinen Wegen!" Amen!
Irgendwann hat die Wanderschaft zum Passo del Vivione ein Ende.
Die letzten Höhenmeter können wir sogar wieder fahren - wie schön!
Das Rifugio Passo Vivione ist allerdings ein Volltreffer - gemütlich, sauber und es gibt leckeres Essen.
Übernachtungstipps:
- Schilpario: Albergo Edelweiss, Alpen Chalet, Olimpic Hostel
- Rifugio Passo Vivione: gelegen an der zu großen Teilen einspurigen Provinzstraße SP234, Telefon: +39 333 8984490