5. Tag: Königsetappe - vier Pässe, drei Grenzen
Strecke: 91,7 km, 2710 hm
S-chanf - Passo Chaschauna - Livigno - Passo d´Eira - Passo della Vallaccia - Pass da Val Viola - Alpe Campo - Sfazu - Poschiavo - Le Prese - Brusio - Campocologno - Tirano
- 9 %: Straße
- 24 %: Radweg, Teer, Nebenstraße mit wenig Verkehr
- 39 %: Feldweg, Schotter
- 28 %: Trail, Pfad
- Schiebepassagen: je nach Fahrtechnik und Kondition beim Anstieg zum Pass Chaschauna, Passo della Vallacia, Pass da Val Viola, Schmugglerpfad bei Campocologna (Grenze CH-IT)
- GPS-Track: 5-S-chanf-Tirano.gpx
Alternative bei schlechtem Wetter:
- mit der Rhätischen Bahn von S-chanf über den Passo Bernina nach Tirano
- Start in Livigno, wenn man zuvor die Variante von Davos über den Flüelapass nehmen musste (siehe Bericht 4. Tag)
- ab Passo d'Eira auf Straße abwärts bis Abzweig ins Valle Vallacia an der Ponte del Rezz
- ab Sfazu Straße bergab bis Poschiavo (weiter Hauptroute über Le Prese, am Lago di Poschiavo entlang bis Miralago)
- ab Miralago Straße bis Ortseingang Tirano
Varianten:
- in Livigno: mit Mottolino Seilbahn zur Bergstation, Trail zum Passo d'Eira
GPS-Track: 5-Var1-Mottolino-Lift-Trail.gpx - ab Sfazu Trail über alten Römerweg bis Angeli Custodi - Teilstück einer der legendären Bernina Xpress Trails, die auch in diesen Büchern von mir beschrieben werden: Alta Rezia GPS Trailguide und Mountainbiken im Valposchiavo
GPS-Track: 5-Var2-Poschiavino-Trail.gpx
Details dazu weiter unten im Textbericht.
Übersichtskarte
schwarz: Hauptroute
rot: Varianten (falls vorhanden)
David hat in der Nacht unruhig geschlafen. Die Pizza vom Vorabend ist ihm nicht gut bekommen. Vermutlich liegt es daran, dass wir gestern Abend keinen Grappa getrunken haben? Wie dem auch sei, beim Frühstück bekommt er keinen Bissen hinunter. An Radfahren ist für ihn nicht zu denken. Wir beratschlagen, was sinnvoll sein könnte? S-chanf liegt an der Strecke der Rhätischen Bahn, die über Pontresina und den Berninapass bis nach Tirano führt. Dorthin sollte, grob gesagt, die Route führen, die mir vorschwebte. Wenn David mit dem Zug dorthin führe, hätte er einen Ruhetag zur Erholung und wir können uns dort treffen. Sollte es ihm nicht besser gehen, hätte er auf jeden Fall eine Möglichkeit, wieder mit der Bahn zurückzukommen. Ich rechnete mir an diesem Tag mit Traumwetter eine reelle Chance aus, bis in die Nähe, wenn nicht gar bis Tirano per Bike zu kommen, auch wenn ich ungern allein im Hochgebirge fahre. Wir fassen also den Entschluss, es so zu versuchen. Ich fahre mit David zum Bahnhof, wir verabschieden uns mit der Hoffnung, dass es ihm heute Abend besser gehen wird und wir wieder zusammentreffen werden.
Und so ist es auch geschehen. David kommt in den Genuss einer Bahnfahrt mit dem legendären Bernina Express.
Bernina Express vor Morteratsch und Piz Bernina
Dabei genießt er fantastische Ausblicke auf die Gletscherwelt der Schweizer Alpen und ich bewältige eine Monsteretappe mit vier hochalpinen Pässen und dreimaligem Passieren der Grenze zwischen Italien und der Schweiz. Los geht es mit dem Aufstieg zum Pass Chaschauna, dem mit 2696 Meter höchsten Punkt dieser Transalp. Von S-chanf geht es über Prasüras zur Brücke Punt da Scrigns. Hier biegt man rechts in Richtung Alp Chaschauna, die auf. ca. 2200 Meter liegt und auf einen Almweg gut fahrbar erreicht wird.
Alp Chaschauna
Auch danach geht es noch gut voran.
Anfahrt im Val Chaschauna zum Pass Chaschauna
Willkommene Abwechslung auf beiden Seiten
Es folgt der Aufstieg zum Pass Chaschauna, dem mit 2696 Meter höchsten Punkt dieser Transalp. Die frühere steile Schiebepassage hat sich erledigt. Auf der Schweizer Seite des Passes wurde im Sommer 2019 ein neuer Weg als Ersatz für den extrem steilen, alten Weg gebaut. Der neue Trail ist dem Gelände angepasst und dadurch in beiden Richtungen, also auch bergauf, weitgehend fahrbar. Der neue Weg ist rund dreimal so lang wie das bisherige Schiebestück, was man aber freudig annehmen wird. Mehr Info dazu auch hier.
An diesem klaren Spätsommertag ohne ein Wölkchen am Himmel ist der Pass Chaschauna ein Erlebnis, das seinesgleichen sucht.
Pass Chaschauna: Das sind die Tage, an den man weiß, warum man lebt!
So ein Panorama findet man selten. Und das Unglaublichste für mich ist, dass die Abfahrt ins Valle di Federia wirklich jeden Meter fahrbar ist. Kein verblockter Singletrail, der mit Transalprucksack nur wenig Freude bereitet; nein, eine gut instand gehaltene Abfahrt, später eine Almpiste, teilweise sehr steil, aber ohne technische Probleme zu bewältigen.
Blick vom Pass Chaschauna ins Valle di Federia und zum Rifugio Cassana, dass knapp unterhalb der Passhöhe liegt.
Ich verliere trotz Fotostopps nicht viel Zeit bei der Abfahrt nach Livigno und komme direkt am gleichnamigen See heraus.
Lago di Livigno - auf der rechten Bildseite verläuft der Radweg in Richtung Livigno, der direkt an der Talstation der Mottolino-Seilbahn vorbeiführt.
Im beliebten Touristenort Livigno sollte man sich auf jeden Fall verpflegen, denn es folgen noch einige Pässe an diesem Tag.
Latteria Livigno - eine Empfehlung zum Rasten
Der zweite Pass des Tages ist mit dem Passo d'Eira bis zur Passhöhe ein Straßenpass, der als Zubringer zum Valla Vallaccia dient. Alternativ könnte man sich bei Bedarf auch Kräfte sparen, indem man mit der Mottolino-Seilbahn hochfährt und den Flowtrail zum Passo d'Eira mitnimmt. Das erspart ca. 400 hm auf der Autostraße.
GPS-Track: 5-Var1-Mottolino-Lift-Trail.gpx
Wie manchmal der Zufall spielt, bin ich bei einer Erkundung den Mottolino Trail mit Hans Rey und Philipp Petermann zusammen als kleine Morgenrunde gefahren.
Wie auch immer man sich entscheidet, auch nach der Straßenauffahrt gelangt man am Passo d'Eira auf die Trepalle Trailabfahrt, die parallel zur Straße verläuft.
Auch auf dem Trepalle Trail unterwegs mit Hans Rey und Philipp Petermann.
An der Ponte del Rezz beginnt der Anstieg zum Passo della Vallaccia. Auf den bin ich beim Kartenstudium gestoßen, weil er auf einer gedachten logischen Linie dieser Transalp liegt. Zudem wird er eher selten befahren, hochalpine Einsamkeit ist also garantiert. Mir ist etwas mulmig zumute, da ich heute allein unterwegs bin. Tatsächlich treffe ich niemanden, keinen Wanderer, keinen Mountainbiker.
Einsamkeit an den Case della Vallaccia
Eine Weile kann ich noch fahren. Wenn dann der Weg direkt an den Gebirgsbach führt, sollte man sich noch einmal erfrischen, denn dann kommt es knüppeldick. Der Pfad ist zwar nicht zu steil wie am Risetenpass, er führt dafür über verblocktes Wiesengelände, das nur eine unrhythmisches Schieben, Anheben und kurzes Tragen des Bikes zulässt. An diesem Tag gehen alle meine Energieriegel drauf. Schließlich bin ich oben auf 2614 Metern. Es ist mit kurz vor drei Uhr am Nachmittag noch erstaunlich früh.
Passo della Vallaccia: Stärkung tut not - ein Pass wartet noch!
Ich verschnaufe und mache mich voll Ungewissheit an die Abfahrt. Zu meinem Erstaunen und zu meiner großen Erleichterung ist der Pfad bis zur Baita Pastore ein Singletrail vom Feinsten, der bis auf einen kleinen Gegenanstieg für Spezialisten wohl komplett fahrbar sein dürfte.
Trailspur ins Val Viola: am Trailende die Baita Pastore - im Hintergrund der vergletscherte Cima de Piazzi
Ich will hier keinen Sturz riskieren, denn ich glaube nicht, dass die reichlich vorhandenen Murmeltiere mir im Falle des Falles eine große Hilfe sein würden. Ab der Baita Pastore führt eine grobe Schotterpiste bis hinunter ins Val Viola. Dort geht es auf einem Sträßchen rechts zum Pass da Val Viola.
Rifugio Val Viola auf dem Weg zum letzten Pass des Tages
Der Pass da Val Viola fehlt mir noch in meiner Sammlung. Außerdem führt er auf dem logischen Weg nach Tirano, das ich heute noch erreichen will. Jetzt also der vierte Pass, der ins Valposchiavo führt. Was ich bis jetzt über den Pass da Val Viola gelesen hatte, bestätigt sich vollkommen. Von der italienischen Seite aus führt ein alter, langsam zerbröselnder Militärweg zur Passhöhe auf knapp 2500 Metern. Er ist gut fahrbar bzw. gut schiebbar an den Stellen, die zu stark erodiert sind.
Trail zum Pass da Val Viola: der Weg ist inzwischen neu angelegt und damit fahrbarer geworden (hier bei einer erneuten Befahrung)
Oben angekommen passiert man dann die Grenze zur Schweiz, deren militärische Elite leider keine Veranlassung sah, diese Steinwüste hier oben als sicherungswürdiges Gebiet einzustufen 😢. Damals musste ich einiges an Metern bergaub Schieben.
Pass da Val Viola: bei der ersten Erkundung war das Wetter besser, aber der folgende Abstieg schlechter
Inzwischen ist der Übergang über den Pass da Val Viola deutlich angenehmer zu fahren. Der Weg wurde etwas verlegt und hergerichtet, so dass er als schöner Singletrail deutlich besser fahrbar ist.
Trail vom Pass da Val Viola ins Val da Camp
Schließlich passiert man den Lago da Val Viola.
Lago da Val Viola
Kurz darauf ist man der Alpe Campo. Hier beginnt der Schotterweg nach Sfazu. Da kann ich es zügig rollen lassen. Kurz vor der Querung der Berninapass-Straße bei Sfazu zweigt die Variante 2-Poschiavino-Trail auf dem alten Römerweg ab:
GPS-Track: 5-Var2-Poschiavino-Trail.gpx
Als Entscheidungshilfe hier zwei Bilder von dem interessanten Trail, der auch ruppige Abschnitte bereithält.
Der Römerweg verläuft von Sfazu als Waldtrail mit leichtem Auf und Ab parallel zur Berninapass-Straße.
Nach dem Überqueren der Straße zum Berninapass folgt auf dem Römerweg eine grobe Mulatteria.
Ob dazu die Kondition und Konzentration noch reicht, muss jeder selber entscheiden. Zur Not rollt man ab Sfazu einfach die Passstraße hinunter. Ansonsten bleibt man auf der Hauptroute. Die verläuft ab Sfazu als leichte Piste, zunächst als geteerter Almweg, später als Schotterpiste bis Pedemonte. Jeder vernichtete Höhenmeter ist die reine Freude. Von Angelo Custodi geht es dann auf einen schönen Wiesenpfad weiter nach Poschiavo.
Von Angelo Custodi nach Poschiavo
In Poschiavo könnte man eine Transalp beenden, meinen manche. Mir leuchtet das nicht so recht ein, schließlich ist man noch mittendrin in den Alpen.
Poschiavo - mittendrin im Herz der Alpen
Ich suche mir einen Weg nach Tirano, der möglichst abseits von der Hauptstraße liegt.
Poschiavo - Via di Palaz: auf der Gartenseite hinaus aus dem Ort
Inzwischen habe ich genug Ortskenntnis durch die Recherchen zu meinem Alta Rezia Trailguide und den speziellen Bikeguide Mountainbiken im Valposchiavo, den ich für meinen Freund Bruno Raselli und dessen Sport Hotel in Le Prese veröffentlicht habe. Das Valposchiavo ist ein Kleinod und Schnittstelle zwischen hochalpinen Terrain und dem meditarrenanen Valtellina.
Blick von San Romerio ins Valtellina - im Hintergrund die Bergamasker Alpen: im Tal verläuft die Transalp-Route
Den Lago di Poschiavo muss man auf der rechten Seeseite umfahren, parallel zur Straße und Bahnlinie der Rhätischen Bahn.
Lago di Poschiavo von San Romerio aus
Dabei hat man, wie auf dem weiteren Weg hinab nach Tirano immer wieder Berührungspunkte mit dem Bernina Express.
Parallelverkehr am Lago di Poschiavo
Am Ende des Sees ist man in Miralago und könnte in in gut einer Viertelstunde in Tirano sein. Die Straße hat meist einen breiten Seitenstreifen, auf dem man unbehelligt fahren kann und da es stramm bergab geht, wäre man flugs im Tal. Aber warum hetzen .
Blick zurück von Miralago über den Lago di Poschiavo zum Piz Varuna
Wen man noch gut in der Zeit liegt, gibt es bessere Möglichkeiten, die ich ausgetüftelt habe und als Big Bernina Express veröffentlich habe. Dieser Strecke folgen wir nun ab Miralago. Ein Highlight ist dabei sicher die Passage entlang des berühmten Kreisviaduktes bei Brusio.
Mit etwas Glück oder Warten begegnet man auch dem Bernina Express.
Bei Campocologna wartet noch eine kleine Herausforderung: der alte Schmugglerpfad von der Schweiz nach Italien. Auch den kann man auslassen, wenn einem die zurückliegende Etappe den Zahn gezogen hat.
In Tirano umfängt mich mediterranes Klima. Am Bahnhofsplatz treffe ich David wieder, der schon ein kleines Hotel in der Innenstadt gefunden hat. Ich komme dort auch unter. Mal sehen, was der morgige Tag bringt. Alles wird gut.
Tirano - Foto © Bruno Raselli
Übernachtungstipps:
Valposchiavo: Le Prese
Sport Hotel Raselli CH - 7746 LE PRESE, direkt an der Haltestelle der Rhätischen Bahn in Le Prese am Lago di Poschiavo
tel.: +41 (0)81 844 01 69
Der Hotelchef Bruno Raselli ist selber Mountainbiker, spricht auch deutsch und kann bei Problemen weiterhelfen. Wäscheservice, Bikegarage etc.
Tirano
Hotel Gusmeroli, Piazza Cavour, 5, 23037 Tirano SO, Italien, Telefon: +39 0342 1900392
B&B Contrada Beltramelli, Via Beltramelli 41, 23030 Villa di Tirano (SO) , tel.: +39 366 6296828
liebevoll restauriert im Stil alter Bauernhäusern, aber mit modernem Komfort, wer es mag, kann auf Heubetten schlafen