Vom Sustenpass an den Genfer See
Dieser Tourbericht darf nicht fehlen. Es ist der Beginn meiner „Transalp-Karriere“, die im Jahr 1994 begann. Was sich daraus entwickeln sollte, war nicht abzusehen. Es gab weder GPS noch Handys für den allgemeinen Gebrauch, geschweige denn Digitalkameras. Die rudimentären Höhenprofile habe ich im Nachhinein mit Excel erstellt. Eine Wegaufzeichnung war mir damals nicht möglich.
Die Strecke haben wir mühsam den Textbeschreibungen des Buches von Toni Wölfinger entnommen und in die Karten übertragen. Vor Ort haben wir uns mit Hilfe der Karten und Wegzeichen orientiert. Das war eine gute Übung. So habe ich gelernt, mich im Gelände zu orientieren und sammelte erste alpine Erfahrungen.
Strecke
Göschenen – Wassen – Susten-Pass – Meiringen – Gr. Scheidegg – Grindelwald – Kl. Scheidegg – Faulensee – Spiez – Diemtig-Tal – Weissenbach – Jaunpass – Château d’Oux – Col de Jaman – Montreux
Länge: ca. 324 km
Höhenmeter: ca. 7300 hm
Etappen: 6
Übersichtskarte
Übersicht der Etappen
1. Tag: 55 km, 1550 hm
Göschenen – Wassen – Susten-Pass – Meiringen
2. Tag: 33 km, 1600 hm
Meiringen – Große Scheidegg – Grindelwald
3. Tag: 61 km, 1230 hm
Grindelwald – Kleine Scheidegg – (Jungfraujoch per Bahn) – Wengen – Lauterbrunnen – Interlaken – Faulensee
4. Tag: 60 km, 1500 hm
Faulensee – Spiez – Oy – Diemtig-Tal – Pass-Höhe – Weissenbach – Jaunpass
5. Tag: 55 km, 800 hm
Jaunpass – Griesbach-Tal – Rougemont – Château d’Oux – Montbovon
6. Tag: 60 km, 580 hm
Montbovon – Col de Jaman – Montreux
Nachfahren der Tour
Wer diese Transalp nachfahren will, findet unter Umständen für kleines Geld das bereits erwähnte Buch von Toni Wölfinger: Transalp – Alpenüberquerungen mit dem Mountainbike.
Vielleicht helfen auch die rudimentären Tourdetails der einzelnen Tagesetappen in Listenform weiter.
Prolog
Du lebst nur einmal, aber wenn du das Beste daraus machst, ist einmal genug.
Joe Louis (1914– 1981)
Die Idee zu meiner ersten MTB-Tour begann 1993 zu keimen. Auf einem Seminar kam ich mit meinem damaligen Kollegen Dieter (auf dem Bild links) ins Gespräch. Er war auf MTB umgestiegen. Ich fuhr seit Jahren Rennrad und Tandem und stand dem „neuen“ zweirädrigem Fortbewegungsmittel skeptisch gegenüber. Die Touridee fand ich gut. Ich dachte es reicht, dass ich an meinem 28-Zoll Rad mit schmalen Reifen nur die Übersetzung ändern muss und ab geht’s in die Berge. Zum Glück machten wir vorher eine Testfahrt im Harz auf den Brocken. Dabei ist an meinen Rad die Hinterachse gebrochen. Damit war die Entscheidung gefallen. Ich lieh mir ein weißes Specialized Rockhopper aus. Das MTB ließ mich von nun ab nicht mehr aus dem Bann.
Im August ging es los. Losgefahren bin ich wie ein Frisör, wie man so schön sagt. Zu Beginn hatte ich nicht mal einen Helm dabei. Erst unterwegs bekam ich durch Zufall einen. Ein Mitglied einer anderen Gruppe hatte den am Rastplatz liegen lassen, als sie vor uns aufgebrochen sind. Ich nahm ihn mit, in der Annahme, dass wir sie wiedertreffen.
Der Sommer 1994 war lang und heiß. In Deutschland brachte er ca. 6 Wochen hintereinander Sommertage mit mehr als 25 °C hervor. Mit 2 Autos trafen wir uns in Montreux, am Ufer des Genfer Sees. Hier sollte die Tour enden. Ein Fahrrad umgeladen und ab ging’s nach Göschenen, dem Ausgangspunkt der Transalp. Dort hatten wir in der Jugendherberge Plätze reserviert. Im Massenschlafsaal bezogen wir mit Dutzend anderen Quartier. Die Luft war in der Nacht entsprechend. Ohropax hatte ich in weiser Voraussicht mit. Es sollte fast das wichtigste Requisit auf all meinen Touren bleiben.
An den Texten habe ich bei der Überarbeitung so gut wie nicht herumgeschraubt, damit der „historische Charme“ nicht verloren geht. Bei manchen der Bilder muss ich schon schmunzeln, wie ich damals gekleidet war und was für Equipment sich am Fahrrad tummelte. Ich sage nur: ästhetisch fragwürdig. Die Fotos sind halt so, wie ich sie damals gemacht habe. Heute kann ich es etwas besser.
1. Tag: Sustenpass
Nach der Nacht im Massen-Schlafsaal waren wir froh, auf dem Weg von Göschenen hinab nach Wassen frische Luft in unsere Lungen blasen zu lassen. Im Ort entschließen wir uns, die Fahrstraße zum Sustenpass zu nehmen. Heute sind Unmengen von Rennradlern unterwegs. Anscheinend läuft ein Amateur-Rennen.
Wir fahren unser Tempo und erreichen schließlich die Passhöhe. Ein kurzer Abstecher zu den bläulich schimmernden Abbrüchen des Stein-Gletschers ist auf jeden Fall der Mühe wert.
Denn heute geht es nur noch bergab bis Meiringen, wo wir wieder in einer Jugendherberge übernachten. Das ist in der Schweiz recht preiswert. Meiringen und sein Wasserfall sind berühmt durch Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle ließ ihn hier in seinem letzten Krimi verschwinden.
Hinweis: aus heutiger Sicht würde ich bei der Abfahrt vom Sustenpass versuchen, ab der Alm Feldmoos auf der alten Sustenpass-Straße zu bleiben.
2. Tag: Grindelwald
In der Nacht schüttete es wie aus Kübeln. Am Morgen sah das Wetter nicht gut aus. Wir beschlossen abzuwarten, die vor uns liegende Etappe war eh kurz. Tatsächlich reißen die Wolken gegen 10 Uhr auf, los geht’s. Ein kurzes Steilstück am Wasserfall ist noch regenfeucht, aber danach wird es zunehmend besser. Wir lernen uns per Karte und Höhenmesser zu orientieren. In Verbindung mit den topographischen Detailkarten lässt sich der Standort exakt bestimmen. Einen Höhenmesser halte ich auf der Tour für unverzichtbar. Ich kann so relativ genau bestimmen, wo ich bin und weiß, wie viele Höhenmeter noch vor mir liegen. In Verbindung mit der Formel – 1 Stunde = 400-500 Höhenmeter im Aufstieg – kann ich so einschätzen, ob ein Wegeabschnitt heute noch machbar ist. Am alten Grand-Hotel „Rosenlaui“ rasten wir bei einer Tasse Kaffee mit Blick auf den gleichnamigen Gletscher. Weiter geht es im nur von Postbussen befahrenen Tal aufwärts bis zur Großen Scheidegg. Hier öffnet sich der Blick auf Grindelwald und zur Eiger-Nordwand. Rasch sind wir im Ort und beziehen Quartier im Massenlager im Hotel Alpenrose.
3. Tag: Eiger, Jungfrau, Mönch
Ein strahlender Tag bricht an. In steilen Serpentinen geht es hinauf zur Kleinen Scheidegg. Wanderer gehen den geraden Weg hoch. Wir treffen sie immer wieder.
Oben angelangt, kommt man voll ins Touristengetümmel. Wir nutzen die Gelegenheit und fahren neben vielen Japanern mit der Zahnradbahn hoch zum Jungfraujoch. Die legendäre Bahn legt einen Zwischenstopp an der Aussichtshaltestelle Eigerwand ein. Der Blick aus dem Fenster in der Eiger-Nordwand ist spektakulär. Endstation ist auf 3454 Metern am Jungfraujoch. Unmassen von Menschen, viele mit Sommersandalen, stapfen durch den sulzigen Schnee. Das Projekt eines Hotels hier oben konnte gerade noch abgewendet werden. Ich suche mir einen stillen Fleck und genieße den Blick auf den Aletschgletscher, den größten Europas. Bei der Rückkehr schwingen wir uns auf die Räder. Es geht hinab nach Wengen und weiter steil hinab nach Lauterbrunnen. Unsere MTB haben nur Cantilever-Bremsen, keine Federung. Das reine Vergnügen ist es nicht. Die Schiffspassage auf dem Thuner See schenken wir uns und radeln stattdessen am Seeufer entlang bis Faulensee.
4. Tag: Diemtig-Tal, Jaunpass
Auf der Seeterrasse des Hotels nehmen wir ein umfangreiches Frühstück zu uns, sehr stimmungsvoll. Auf der Strecke über Spiez nach Oy treffen wir eine Bikegruppe aus dem Harz. Sie sind schnell unterwegs. An der ersten Passhöhe beim Übergang nach Weissenbach treffen wir sie wieder. Bei einem schwergewichtigen Radkollegen ist am Hinterrad eine Speiche gebrochen, natürlich auf der Ritzel-Seite (Murphys Gesetz). Wir können nicht helfen (seitdem gehört eine Notspeiche immer ins Reparaturset). Der Biker muss zurück ins Tal, um Reparaturmöglichkeiten zu suchen. Einer vergisst beim Aufbruch seinen Helm. Ich nehme ihn kurzerhand mit. Vielleicht treffen wir die Gruppe wieder.
Wir radeln auf gutem Schotterweg hinab ins Tal nach Weissenbach.
In Weissenbach essen wir kräftig Mittag: Schweinebraten mit Klößen, dazu ein halber Liter Bier. Das war nicht die richtige Wahl. Der Aufstieg zum Jaunpass liegt vor uns. Wir fahren die wenig frequentierte Straße hinauf. Das Essen liegt mir wie Blei im Magen. In Zukunft nur noch Nudeln oder Suppe zum Mittag, schwöre ich mir. Am Jaunpass finden wir problemlos Quartier im Massenlager. Es beginnt zu regnen, die ganze Nacht hindurch.
5. Tag: Château d’Oux
Das Wetterglück bleibt uns hold. Es ziehen nur noch einige Nebelschwaden durch die Berge.
Die Wege sind feucht und voller Kuhfladen, aber traumhaft einsam und still. Ich beginne den Reiz von von Touren mit dem Mountainbike zu verstehen. An einer bewirtschafteten Almhütte scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, so uralt sieht sie aus.
Ein Blick um die Ecke gibt den Blick auf ein All-Rad-Fahrzeug frei. Die Neuzeit hat uns wieder.
Eine der wenigen kurzen Schiebepassagen bringt uns zum Übergang in den französisch-sprachigen Teil der Schweiz. Beim Bäcker im ersten Ort verpflegen wir uns und radeln weiter auf Neben- und Radwegen via Château d’Oux bis Montbovon.
6. Tag: Genfer See
Der letzte Tag bringt eine kurze Etappe. Kurz vor dem Col de Jaman queren wir eine Bahnstrecke. Wie der Zufall will, fährt der berühmte Glacier Express gerade vorbei. Die Tour hat ihren Namen. Ab der Passhöhe geht es in Serpentinen hinab nach Montreux. Immer wieder halten wir an, um die Aussicht zu genießen. Wir haben Zeit, da wir noch eine Nacht in der JH am Seeufer verbringen. Der Tag klingt in einem Gartenlokal in den Weinbergen von Vevey aus. Wir sitzen hier mit einem Schweizer Paar, das auch diese Tour gefahren ist.
Die erste Transalp-Tour liegt hinter mir. Es wird nicht die letzte sein.
Fazit
Die Notwendigkeit realisiert sich über den Zufall.
Hegel (1770-1831)
- Ideale Einsteigertour, um alpine Erfahrungen zu sammeln
- fast komplett fahrbar, keine Extremetappen
- landschaftliche Highlights in Hülle und Fülle
- Nachteil: Schweiz ist teures Pflaster
- logistische Probleme: von Deutschland aus verfährt man 2 Tage mit dem Auto, um vom Start- zum Zielort und zurück zu gelangen
- besser wäre An- und Abreise mit Bahn
Das war für mich der Einstieg in das Thema Transalp. Es sollte meinem Leben eine radikale Wendung geben. Welch großes Glück!